Jüdischer Widerstand im nationalsozialistischen Wien

Interview mit Gertrude Horn

Die ehemalige Bewohnerin des Hauses Lilienbrunngasse 6 Gertrude Horn erinnert sich an ihre Widerstandshandlungen:

„Ich wurde eingesperrt und kam zu einem Schnellrichter, der mich zu vier Wochen Arrest wegen Nichttragens des Judensterns und zu vierzehn Tagen Arrest wegen des verbotenen Lokalbesuches verurteilte. Ich verbüßte die Strafe auf der „Liesl“ [Polizeigefangenenhaus, heute Roßauer Länder] in einer Gemeinschaftszelle für Juden. […] Ich hatte im Gefängnis ein Mädchen kennen gelernt, die mich nach meiner Haft zu sich nach Hause einlud. Dort trafen sich ein paar junge Leute. [...] Wir haben uns erst einmal ‚abgetastet‘, wir waren ja alle ganz jung, niemand hatte politische Erfahrung. Nachdem wir uns einige Male getroffen hatten, ist mein späterer Mann gekommen, um einen Vortrag zu halten. Seinem Vortrag konnte man entnehmen, dass es um den illegalen Kommunistischen Jugendverband ging und um eine eigene Organisation der „Mischlinge“, „Mischlingsliga Wien“. Uns war klar, dass man irgendwas gegen das Nazi-Regime tun muß, man konnte doch nicht nur warten, in der Zwischenzeit hatten ja schon die Deportationen nach Polen begonnen. Es wurden Menschen weggeschickt, die keine Möglichkeit gehabt hatten, sich zu wehren, also mußte man solche Organisationen aufbauen. Wir hatten damals noch viele jüdische Jugendliche bei uns, die wir geschult haben, einige waren sogar beim Warschauer Aufstand dabei. Wir wollten nicht einfach abwarten, was mit uns geschieht. […] Wir stellten Flugblätter her und verteilten sie, wir schrieben Losungen an Wände. Die Flugblätter haben wir an Wohnungstüren gesteckt. Wir machten das in der Nacht und hauptsächlich im 2. Bezirk, denn hier wohnten die meisten Juden […] Alle hatten Angst. Aber wenn man jung ist, ist man zu solchen Aktivitäten entschlossen. Außerdem arbeitete die „Mischlingsliga“ zu einer Zeit, als der Krieg schon fortgeschritten war, und die Chancen zu überleben waren so gering für alle, dass man wenig zu verlieren hatte.“

Source - Interview mit Gertrude Horn, geb. Fanto, durchgeführt von Nancy Ann Coyne, Wien 13./14.1.1989, DÖW, 554, in: Erzählte Geschichte Jüdische Schicksale, 222f.


Welche Beweggründe nennt Gertrude Horn für ihren Beitritt in die "Mischlingsliga"?

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