Das Wort „Assimilation” beschreibt eine Veränderung. Wenn eine Person (oder eine Gruppe von Menschen) assimiliert, nimmt sie Lebensweisen, Bräuche, Gewohnheiten und Einstellungen einer anderen Gruppe an. Viele jüdische Menschen, die um 1900 in Wien lebten, waren aus anderen Regionen oder Ländern nach Wien gekommen. Nicht wenige lebten seit Jahrzehnten in der Stadt. Manche Jüd:innen assimilierten. Andere Jüd:innen taten das nicht. Assimilation kann mit verschiedenen Lebensbereichen zu tun haben: Sprache, Religion, Identität, Bräuche, Sitten, Beziehungen und so weiter.
In den beiden Videos sprechen Ingeborg Guttmann und Henriette Koch, die im 2. Bezirk lebten, von der Assimilation ihrer Familien in die Wiener Gesellschaft.
Ingeborg Susanne Guttmann wurde 1930 in Wien geboren und wuchs im 2. Bezirk in einer assimilierten, jüdischen Familie in guten Verhältnissen auf. 1939 konnte die Familie nach Shanghai flüchten. Dort lebten sie in Armut in einem Ghetto. Sie wären gerne in die USA weiter migriert, doch 1949 wurde Guttmanns Familie gezwungen, nach Österreich zurückzukehren, weil sie nun nicht mehr staatenlos, sondern wieder österreichische Staatsbürger:innen waren. Durch ihren Ehemann wandte sich Guttmann in den 1950ern dem orthodoxen Judentum zu.
Henriette „Rita“ Koch wurde 1931 in Wien geboren und wuchs im 2. Bezirk in einer liberal-jüdischen, wohlhabenden Familie auf. Koch besuchte eine jüdische Schule, bevor sie mit ihrer Familie 1939 nach Italien flüchtete. In Italien wurde Koch zur Zionistin und ihre Familie ging 1944 nach Palästina. 1950 kehrte Rita Koch allein nach Wien zurück. Sie arbeitete für die Jewish Agency, studierte und wurde Dolmetscherin. Später war sie für die österreichische Regierung als Dolmetscherin tätig, engagierte sich in der Israelitischen Kultusgemeinde Wien und wurde als Journalistin bekannt.
Gisela „Gundl“ Herrnstadt-Steinmetz wurde 1916 in Wien geboren und wuchs in einem sozialdemokratischen, assimilierten Umfeld auf. 1935 ging sie nach Paris und wurde Mitglied der französischen Kommunistischen Partei. Ab 1937 war sie als Krankenschwester im Spanischen Bürgerkrieg. Über Frankreich kam sie 1939 nach Belgien, lebte dort unter falschem Namen und war mit ihrem späteren Ehemann im belgischen Widerstand aktiv. Sie kehrte 1945 nach Wien zurück, studierte und arbeitete als Lektorin und Übersetzerin.
Alle drei Interviews wurden 1997 in Wien von der USC Shoah Foundation aufgezeichnet.